Soweit gefahren


Im nächsten Bahnhof kam mein jüngerer Bruder zur Welt. Jedes Kind in einem anderen Bahnhof.

Im Winter haben wir auf den Bahnsteigen Schneemänner gebaut, was den Reisenden gute Laune brachte. Oft hingen wir im Stellwerk ab und durften auch mal mit dem großen Hebel Weichen stellen. 

An den Gleisen entlang sind Gärten, auf Schotterböschungen wachsen Akazien, schnaubend stehende Dampflokomotiven, in der Sonne teerkochende Schwellen, fremde Gleisarbeiter, die an Sommerabenden vor ihren Wohnwaggons Trompete spielen.


Es gibt immer eine Möglichkeit, die bleibt

Als Kind habe ich so stark gefremdelt,  dass mich gleich mehrere Erwachsene in den Kindergarten tragen mussten. So sehr habe ich mich dagegen gewehrt. Damals kannte man bei so etwas kein Pardon. Es hat Wochen gedauert, bis ich endlich an einem Tisch saß und spielte. 

Denn erst stand ich den ganzen Tag an der Wand in der Ecke, später ein Stück weiter im Raum, dann neben dem Spieltisch und irgendwann habe ich mich hingesetzt und still beschäftigt. Ich begann mit einem herrenlosen Kinderschirmchen zu liebäugeln, woraus in meinem späteren Leben ein Ausstellungsthema wurde. 


Meine Heimat ist die Ferne

Mit Papa guckte ich gerne Fernsehen. "Die russischen Filme sind die besten!", sagte er immer und Mama drehte die Kiste ab. Fernsehen sei das Werkzeug Satans. Ihre Bekehrungsversuche blieben erfolglos. Für Papa und mich war das “Fernseh-Kino” so etwas wie Heimat.

Ich wollte Filmemacherin werden. Aber in meiner damaligen Welt gab es keinen Weg dorthin. Dann habe ich ein Jahr Praktikum im Kindergarten gemacht. War schön, ich konnte hervorragend Memory spielen und hatte so die perfekte Gelegenheit, mein "Kindergarten-Trauma" aufzuarbeiten.

Ich studierte Sozialarbeit.
Dann aber malte ich und jobbte.

In den Achtzigern war die Zeit der Aussteiger. Das tat ich auch. Also arbeitete ich als Kellnerin, Verkäuferin, Bäckerin, Kinderfrau, Kommissioniererin, Fließbandarbeiterin, Druckvorlagenherstellerin, Gesellschafterin, Siebdruckerin, Modellsteherin, Putzfrau und Floristin. 

Und lebte eine Weile bei Willy und Frieda Ackermann in einem Wald bei Wolfsburg. Beide waren damals über achtzig und wohnten dort schon seit den Dreißigerjahren in einer selbst gebauten Holzhütte und versorgten sich völlig autark von dem Grund und Boden, auf dem sie lebten. Das letzte Foto ihres Zuhauses befindet sich hier. Die»Ackermanns« sind mittlerweile historisch.


Es ist doch alles nur Kino

Nach all dem studierte ich in Erlangen Theaterwissenschaft und wurde tatsächlich Filmemacherin, habe mich mit dem Kameramann Peter Zielinski als Filmemacher-Partnerschaftsgesellschaft Schneider & Zielinski Film selbstständig gemacht. 

2004 bekam ich von der Regionalen Entwicklungsgesellschaft "Rund um die Neubürg – Fränkische Schweiz" den bis dahin schönsten Auftrag meines Lebens: Ein Märchen für den Kindererlebnis-/Märchenweg in Mengersdorf zu schreiben und die Bilder dazu zu malen.

In diesem Jahr stirbt meine Mutter, mein Vater ist schon lange tot. Ich habe selbst leider keine Kinder bekommen können. Eine Familie, ein Zuhause zu haben, das ist so warm und winkt für mich so fern. So male ich ein immerwährendes Land, in dem Kastanienbäume sind, denn sie bleiben mindestens 99 Jahre.

Noch "fremdel" ich ein bisschen. So, dass es niemand merkt. So ist es gut.

In eine Welt hinabzutauchen, die von mir geschaffen ist, weil ich da leben kann, um dann wie im Kahn auf einem russischen Strom meerwärts zu treiben und hinunterzublicken auf die überfluteten Dörfer dort unten. Vorsicht, da lugt eine Kirchturmspitze heraus und – hört man nicht von irgendwo Glockengeläut? …

Manchmal denke ich wieder an das russische Kino, wie ich es damals mit meinem Vater in der Küche geguckt habe, abends am Resopaltisch mit zwei Flaschen Bitburger Bier.

"Was sagst du, Papa? Es ist doch alles nur Kino? Ach, Papa, ich vermisse dich sehr!"


Fernweh versiegt zu Heimweh

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Hilde Zielinskis Märchen "Die Bachprinzessin

Hilde Zielinskis vergnügliches Buch "Für immer Eddi und Josef"

Als Filmemacherin bei Schneider & Zielinski Film

Hilde Zielinskis Reisebericht "Wohin das Herz mir geht" – Auf dem Weg des großen Menschendichters Jean Paul – bei jeanpaulweg.com

Hilde und Peter Zielinski: "Auf Jean Pauls Weg" bei Facebook – Wie es weitergeht …

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